Das Buch, Ergebnis einer langjährigen Forschungstätigkeit, möchte einen sachlichen und weitgefassten Überblick über die verschiedenen Facetten des Phänomens „Mafia“ jenseits aller gängigen Klischees und Mythen liefern. Im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung hat sich die sizilianische Mafia als eine komplexe und außerordentlich anpassungsfähige Form von krimineller Durchdringung der Gesellschaft erwiesen. Ein besonderes Anliegen des Buches ist es zu zeigen, wie sich jedoch immer wieder auch Widerstandsformen und Bewegungen – von der Bauernbewegung bis zum bemerkenswerten Engagement der Zivilgesellschaft in den letzten Jahrzehnten – gegen ihre Übermacht herausgebildet haben, und der durch die mediale Konzentration auf die Täter allzu oft vergessenen Opfer dieser Kämpfe zu gedenken.
In einem weiteren Kapitel werden weitere Formen des nationalen und internationalen organisierten Verbrechens kurz vorgestellt und es wird über die aktuellsten Initiativen zu ihrer Bekämpfung informiert.
Das Buch wendet sich an Lehrer, Schüler, Studenten und Sozialarbeiter, die sich gegen die Mafia engagieren, aber auch an ein größeres Publikum, das über eines der beunruhigendsten Phänomene unserer Zeit in einer übersichtlichen Form mehr wissen möchte.
Umberto Santino (I)
Buch, 284 Seiten, zahlreiche Abbildungen, erschienen: 3. Okt. 2016, 1. Auflage Deutsch, aus dem Italienischen übersetzt und überarbeitet von Winfried Küper (D) & Giovanni di Stefano (I), ISBN: 978-3-906212-04-3
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Umberto Santino ist Gründer und Leiter des Centro Impastato in Palermo, des ersten Studienzentrums über die Mafia und andere Formen der organisierten Kriminalität in Italien (1977). Zur Mafia und Antimafia hat er zahlreiche Publikationen verfasst, darunter: L’omicidio mafioso (1989), L’impresa mafiosa (1990) und Dietro la droga (1993) in Zusammenarbeit mit Giovanni La Fiura, La borghesia mafiosa (1994), La mafia interpretata (1995), La democrazia bloccata, L’alleanza e il compromesso (1997), La cosa e il nome (2000), Dalla mafia alle mafie (2006), Mafie e globalizzazione (2007), Storia del movimento antimafia (2000, 2009), L’altra Sicilia (2010). Eine englische Übersetzung des vorliegenden Buches ist unter dem Titel Mafia and Antimafia: A Brief History mit einem Vorwort von John Dickie 2015 erschienen.
Santino ist zudem auch Autor erzählerischer und satirischer Texte wie Una ragionevole proposta per pacificare la città di Palermo (1985, 2006), Libro di Giona (1993), I giorni della peste (1999, 2006), Il cavallo e la fontana (2002), Le colombe sulla Rocca (2010), Dalla parte di Pollicino, Vecchie fiabe e nuovi fantasmi (2014).
Nützliche Links über den Autor Umberto Santino:
https://www.zak.kit.edu/1165.php | http://www.centroimpastato.com | http://www.editoririuniti.it/libri/peppino-impastato-anatomia-di-un-depistaggio-n-e.php | https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_2?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&url=search-alias%3Daps&field-keywords=Umberto+Santino
Nach Jahrzehnten, in denen die Existenz der Mafia geleugnet wurde, ist in den letzten Jahren in den Zeitungen, im Fernsehen und auch in der Schule viel von ihr die Rede. Dies ist weitgehend auf die Verbrechen, die der Mafia zugeschrieben werden, zurückzuführen, vor allem auf diejenigen, die Aufsehen erregten und die öffentliche Meinung aufgerüttelt haben. Viele werden sich an die zahlreichen Morde zu Beginn der 80er Jahre in Palermo erinnern, als der sog.
Mafia-Krieg viele Opfer auch außerhalb der mafiösen Gruppen verursachte, oder an die Attentate des Jahres 1992, bei denen die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino und ihre Eskorten getötet wurden, und an die Attentate des Jahres 1993 in Florenz und Mailand mit insgesamt zehn Toten. Oder sie haben zumindest davon gehört.
Wegen dieser und anderer Verbrechen innerhalb und außerhalb der Mafia sprach man von einer Ausnahmesituation (emergenza), wobei so unterstellt wurde, die Mafia existiere nur dann, wenn sie die Schusswaffe benutze, und verdiene erst in die Schlagzeilen zu kommen, wenn sie bekannte Persönlichkeiten ermorde. Und weil in diesen Jahren auch Staatsbedienstete und Vertreter öffentlicher Institutionen (Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Politiker) ermordet wurden, hat man die Mafia auch als Antistaat (antistato) bezeichnet.
Diese Vorstellungen von der Mafia (die Mafia als Ausnahmesituation, d.h. als Mordfabrik; die Mafia als Antistaat, d.h. als Organisation außerhalb des Staates und sein Gegenpol) sind sehr verbreitet, doch man sollte sich fragen, inwieweit sie zutreffend sind; d.h., ob sie uns ein angemessenes Bild von dem Phänomen Mafia geben.
Auch die gängigen Vorstellungen über die Antimafia sollten einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Man sagt, der Kampf gegen die Mafia habe erst in den letzten Jahren begonnen, und dabei verweist man auf das Engagement einiger Richter und Staatsanwälte, besonders derjenigen, die ermordet wurden, sowie auf stattgefundene und weiter stattfindende Demonstrationen wie auch auf Initiativen in den Schulen. In Wirklichkeit hat sich der Kampf gegen die Mafia, wie wir sehen werden, zeitgleich zur Mafia entwickelt und hat schon vor langer Zeit begonnen: Als Anfangsdatum können wir das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit den ersten Bauernaufständen, den Fasci siciliani (auch: Fasci siciliani dei lavoratori; Landarbeiterzusammenschlüsse 1891-1894; demokratische und sozialistische Massenbewegung; siehe Kap.3.9.) betrachten.
Kapitel 1: Was man über die Mafia sagt und was ich darüber denke
Vorwort
1.1. Methodologische Hinweise: Untersuchung der gängigen Meinungen, ein Definitionsvorschlag und seine Überprüfung
1.2. Die gängigen Vorstellungen: Stereotypen und Paradigmen
1.3. Die am meisten verbreiteten Stereotypen: Ausnahmesituation und Antistaat
1.4. „Ihre eigenen Angelegenheiten“
1.5. Die Mafia als Subkultur
1.6. „Alle Sizilianer sind Mafiosi…“
1.7. „Die Mafia ist überall“, ja sogar: „Alles ist Mafia“
1.8. Der Krake
1.9. „Zuerst war da die Mafia, nun gibt es nur noch Kriminalität“
1.10. Das Stereotyp der Entstehung: Fehlen des Staates, Mangel an Chancen
1.11. Die Paradigmen. Typische kriminelle Vereinigung
1.12. Mafia als Unternehmen und mafiöses Unternehmen
1.13. Ein Vorparadigma: das mafiöse Denken
1.14. Stereotypen entlarven, Paradigmen ergänzen
1.15. Das Paradigma der Vielschichtigkeit: das kriminelle Vereinigungswesen und das Beziehungssystem
1.16. Die Organisation der Cosa Nostra
1.17. Die Frauen und die Mafia
1.18. Die Vereidigung
1.19. Die Stidda und die Clans in Catania
1.20. Das Beziehungssystem: gesellschaftlicher Block und mafiöses Bürgertum
1.21. Phänomenologie mafiösen Handelns
1.22. Mafiöse Gewalt
1.23. Die Wirtschaft der Mafia: Parasitismus und „Produktivität“
1.24. Das Problem der Entwicklung
1.25. Die Mafia als politisches Subjekt
1.26. Die sog. dritte Ebene
1.27. Kultureller Kodex und gesellschaftlicher Konsens. Kultur, Subkultur und Transkultur
1.28. Der Begriff der Ehre und der Devotionalismus
1.29. Der soziale Konsens
1.30. Die mafiogene Gesellschaft
1.31. Ein historischer Überblick: Dauer und Wandel
1.32. Forschungshinweise
Kapitel 2: Vormafiöse Phänomene
2.1. Banditen im Dienste der Herren
2.3. Wirtschaftsverbrechen und territoriale Herrschaft
2.4. Räuber und Gendarm – Der Stammvater des Gattopardo
2.5. Vereinigungen, Bruderschaften, Geheimbünde, Parteien
2.6. Der gesellschaftliche Kontext: Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus
2.7. Die Entstehung des apologetischen Mythos: die Beati Paoli
Kapitel 3: Mafia und Antimafia in der Agrargesellschaft
3.1. Auf dem Wege zum Einheitsstaat. Volkskampfverbände und adelig-bürgerliche Gegenkommandos
3.2. Die öffentliche Ordnung in Sizilien: Gewalt und politischer Kampf
3.3. Die Revolte von Castellammare und der mafiöse Vermittler
3.4. Die „Erdolcher von Palermo“: Der Beginn der „Strategie der Spannung“
3.5. 1863-1865. Die Sache findet einen Namen:
„Die Mafiosi der Vicaria von Palermo“ und der Präfekt Gualterio
3.6. Von der Opposition zur Integration
3.7. Prozesse gegen mafiöse Gruppierungen
3.8. 1893. Die Ermordung des Vorstands des Banco di Sicilia „Emanuele Notarbartolo“ und die Bankskandale
3.9. Die Bauernaufstände: Von den sizilianischen Fasci zu den Pachtgenossenschaften
3.10. 1898-1900. Die Berichte des Polizeipräsidenten Sangiorgi
3.11. Die Ermordung von Aktivisten und Führern: Panepinto, Verro, Alongi und Orcel
3.12. Mafia und Antimafia vor und während des Faschismus
3.13. Nach dem II. Weltkrieg: Mafia und Separatistenbewegung
3.14. Bauernaufstände der Jahre 1945 und 1946
3.15. Das Blutbad von Portella und die Wende im Jahre 1947
3.16. Die Kämpfe um die Bodenreform
3.17. Der Milazzismus, Mafia und Antimafia
3.18. Die Rolle der Frauen
3.19. Die Rolle der katholischen Kirche
Kapitel 4: Mafia und Antimafia in den 60er und 70er Jahren
4.1. Der Mafiakrieg der frühen sechziger Jahre
4.2. Die Rolle der Opposition und die Antimafia-Kommission
4.3. Die Studien über die Mafia
4.4. Kardinal Ruffini und der Pastor Panascia
4.5. Die Opposition zum Sacco di Palermo
4.6. Die gewaltlose Aktion von Danilo Dolci
4.7. Rebellierende Frauen: Serafina Battaglia und Franca Viola
4.8. Die Neue Linke und Giuseppe Impastato
4.9. Die Aktivitäten des Centro Impastato
Kapitel 5: Mafia und Antimafia von den 80er Jahren bis heute
5.1. Die großen Verbrechen zu Beginn der 80er Jahre
5.2. Der Mafiakrieg 1981-1983: Die Belagerung der „Corleoneser“..
5.3. Das Antimafia-Gesetz und die späteren Gesetze
5.4. Der Antimafia-Pool und der Maxiprozess
5.5. Das Ende des Antimafia-Pools, der Krieg in Gela zwischen Cosa Nostra und Stidda und die Bluttaten
von 1992 und 1993
5.6. Die Mächtigen unter Anklage: von Andreotti bis Dell`Utri
5.7. Die katholische Kirche entdeckt die Mafia
5.8. Die Mafia tötet auch Kinder
5.9. Der Kampf gegen die Mafia in den 80er und 90er Jahren: die Frauen, die Schulen, die Verwendung konfiszierter Vermögen, die Mobilisierung gegen die Schutzgelderpressung
5.10. Die abgetauchte Mafia
5.11. Wohin führt der Weg? Mafia und Antimafia in naher Zukunft
Kapitel 6: Weitere Mafiaorganisationen
6.1. Die sizilianisch-amerikanische Mafia
6.2. Die sizilianisch-kanadische Mafia
6.3. Die kalabrische ’Ndrangheta
6.4. Die Antimafia in Kalabrien
6.5. Die Camorra in Kampanien
6.6. Die apulische Mafia
6.7. In der Basilikata: Die Basilischi
6.8. Mafia-Organisationen im Norden
6.9. Die Clans in Korsika und Marseille
6.10. Mafiorganisationen in der Türkei und in den ehemaligen sozialistischen Ländern
6. 12. Die chinesischen Triaden
6.13. Die japanische Yakuza
6.14. Der afrikanische Weg der Drogen
6.15. Die kolumbianischen Kartelle
6.16. Mafiaorganisationen und Globalisierung
Zitierte und weiterführende Literatur